Warum Nature Journaling unser Nervensystem beruhigt
Wenn wir durch den Wald streifen oder über eine Wiese gehen, geschieht meist Folgendes: Unsere Augen gleiten über das Grün, nehmen flüchtig das Rascheln im Unterholz wahr, das Blau des Himmels, den Ruf eines Vogels – und dann tauchen wir wieder ab in unsere Gedankenwelt. In Zeiten ständiger Ablenkung sind wir zwar körperlich draußen, aber innerlich oft noch im Alltag verhaftet.
Nature Journaling kann genau hier ansetzen. Es regt uns an, wirklich hinzusehen – und nicht nur zu schauen. Wenn wir die Natur nicht nur durchqueren, sondern mit Stift und Papier zum Dialog auffordern, geschieht etwas Überraschendes: Unser Nervensystem schaltet einen Gang herunter. Der Parasympathikus wird aktiviert und wir fangen an uns zu entspannen.
Vom Scannen zum Verweilen
Unser Gehirn ist darauf trainiert, die Umwelt ständig zu scannen: „Gefahr oder nicht?“ Diese uralte Überlebensfunktion hält unser sympathisches Nervensystem – also den aktiven, leistungsbereiten Teil – auf Trab. Sobald wir aber erkennen, dass keine Bedrohung droht, blendet das System viele Reize aus. Wir nehmen die Dinge nur noch peripher wahr und konzentrieren uns auf den nächsten Reiz. Was uns früher als Spezies das Leben gerettet hat, ist in der heutigen Reizüberfluteten westlichen Welt eine ständige mentale Belastung. Denn die Reize kommen zu schnell hinter einander. Unser Nervensystem kann nicht mehr abschalten und sich regenerieren, denn es scannt immer wieder die neuen Reize die auf uns einschlagen.
Nature Journaling durchbricht diesen Modus. Wenn wir uns Zeit nehmen, eine Pflanze genau zu betrachten, sie zu skizzieren, ihre Farben zu benennen oder kleine Details zu beschreiben, verweilen wir bei einem einzigen Reiz. Wir stoppen das ziellose Umherwandern unserer Aufmerksamkeit – und das parasympathische Nervensystem, der „Ruhenerv“, wird aktiv. Puls und Atem beruhigen sich, das Nervensystem darf loslassen und sich endlich entspannen.
Zeichnen als vegetative Entschleunigung
Studien zeigen, dass langsame, rhythmische Bewegungen – wie das Zeichnen oder Schreiben mit der Hand – ebenfalls eine direkte Wirkung auf das Nervensystem haben können. Die sogenannte kinästhetische Aufmerksamkeit lenkt uns vom Denken ins Spüren.
Dabei geht es beim Nature Journaling keineswegs um künstlerische Perfektion. Es ist kein Kunstunterricht, sondern eine Einladung zur Präsenz. Im Yoga auch Achtsamkeitsübung genannt. Wenn wir uns in die Maserung eines Blattes vertiefen oder die Bewegung einer Hummel in Worte fassen, verlangsamt sich unsere Innenwelt.
Wir kommen zur Ruhe, weil wir unsere Aufmerksamkeit nicht auf „das Nächste“ richten – sondern auf das Jetzt.
Eine neue Beziehung zur Welt
Je häufiger wir journalen, desto mehr verändert sich auch unsere Beziehung zur Natur. Der Baum am Wegesrand ist nicht mehr irgendein Baum, sondern der Ahorn, den wir gezeichnet haben, dessen Knospen wir verfolgt und dessen Schatten wir beschrieben haben.
Diese (Ver-)Bindung macht etwas mit uns. Denn das, was wir kennen – das schützen wir auch. Und in Zeiten der Klimakrise ist diese emotionale Verbindung keine Nebensache, sondern ein Schlüssel zu echter Veränderung, zu echtem Schutz.
Nature Journaling als Nervensystempflege
In einer Welt, die laut, schnell und digital ist, kann das Nature Journal zum stillen Gegengewicht werden.
Es ist ein Ort:
-
der Langsamkeit
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der Hingabe
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der wiedergewonnenen Neugier
Und vielleicht ist das heute revolutionär: Nicht zu optimieren, nicht zu konsumieren, sondern einfach zu sein.
Mit einem Stift. Und einem Blatt Papier.
Und der Natur als Gegenüber.
Tipp zum Mitnehmen:
Du brauchst keine teure Ausrüstung. Nimm ein Notizbuch, ein paar Stifte – und geh raus. Setz dich zu einer Pflanze. Beobachte. Notiere. Zeichne. Beschreibe. Lass dir Zeit. Dein Nervensystem wird es dir danken.